April 2021 - Åsa Stryg

 

Hier gibt es einen kleinen Ausblick auf die Heldin eines weiteren Projekts: Åsa Stryg.

Åsa schlägt sich mehr schlecht als recht als Söldnerin durch. Dabei mangelt es ihr nicht an Können, eher an passenden Aufträgen, wie der Einstieg in die Rohfassung von Kapitel eins zeigt.

 

***


»Efa Dreck? Nie gehört! Wer foll daf fein?«

Dieser taube und zahnlose Wirt war gerade dabei, mir den letzten Nerv zu rauben. Ich holte Luft. »Nicht Dreck!«, brüllte ich in sein Hörrohr. »Stryg! Åsa Stryg!«

Der Wirt starrte mich konzentriert an und schüttelte langsam den Kopf. »Kenn if nift. Wer ift daf?«

Ich ballte die Fäuste unter dem Tresen. »Das bin ich. Ich heiße Åsa Stryg und ich möchte mich einschreiben. Einschreiben!«, erhob ich meine Stimme erneut, da mich der Mann noch immer verständnislos ansah. »Ich bin doch in Hulther?«

»So ift ef.«

»Na also. Und Lohferd von Althegon sucht fähige Leute für den Kampf gegen die Banden aus Beray, die seine Lehen verwüsten. Darum bin ich hier. Um mich einzuschreiben.«

Hinter mir kicherte jemand. Das passierte mir nicht zum ersten Mal, inzwischen hatte ich aber gelernt, es zu ignorieren.

»Tut mir leid, mein Kind. Lohferd hat feinen Trupp längft komplett.«

Das Kichern in meinem Rücken schwoll zu unverhohlenem Gelächter an.

»Die Einschreibung endete bereits vor vier Wochen«, klärte mich ein Gast auf.

»Die Taverne ist aus allen Nähten geplatzt«, ergänzte ein zweiter.

»Da war sie bestimmt noch mit ihren Lockenwicklern beschäftigt«, prustete einer anderer.

»Ja, lustig.« Frustriert strich ich eine Strähne meiner schwarzen Locken, die sich aus dem Zopf gelöst hatte, hinters Ohr. Sie rutschte mir sofort ins Gesicht zurück. »Wenn du mit dem Schwert so schnell bist wie mit der Zunge, kann in Hulther ja nichts mehr schiefgehen. Wer bist du? Lohferds Hofnarr?« Ich bedachte den Idioten mit einem vernichtenden Blick und wandte mich wieder dem Wirt zu. »Habt Ihr wenigstens ein Zimmer für mich? Mit Waschzuber …«, wieder Gekicher, » … außerdem Bier und etwas zu essen?«

»If habe einige Fimmer frei.« Das wunderte mich nicht. »Fuber koftet eftra.« Auch das nicht. Der Wirt zeigte auf einen Kessel, der über einem offenen Feuer simmerte. »Heute gibt ef Bohnenfuppe«. Nicht schon wieder Bohnensuppe.

Ich nickte dem Alten zu. »Bestens. Dann Suppe und einen Krug Bier, guter Mann.«

Ich suchte mir einen freien Platz in einer ruhigen Ecke, verstaute mein Gepäck unter dem Tisch und ließ mich schwer auf den Stuhl sinken. Ein Rundblick bestätigte mir, in was für einem Loch ich gelandet war. Kannte man eines, kannte man alle: niedrige Decke, kaum Licht, rauchgeschwängerte Luft, wacklige Holztische, die von den Essensresten zusammengehalten wurden, die im Laufe der Jahre in die Ritzen eingedrungen waren und dort wie Leim klebten. Als der Wirt mir auf seinen krummen Beinen die Bestellung brachte, hing sein Daumen zur Hälfte in der Suppe. Das Bier war gestreckt, die Bohnenstücke ähnelten weich gekochten Fußnägeln und schmeckten auch so, die schwarzen Brocken mit dem rauchigen Aroma, die ich zuerst für Mettwurststücke gehalten hatte, entpuppten sich als Angebranntes vom Kesselboden. Ach, und das Brot. Die Scheibe war so dünn, ich konnte durchgucken.

Auch die Kundschaft erfüllte meine Erwartungen. Da wurde gewürfelt, gesoffen, gegrölt und der einzigen Schankmaid, einem überarbeiteten Ding mit Ringen unter den Augen, an Busen oder Hintern gegrabscht. Schweißgeruch mischte sich unter Pfeifenrauch, den Rest des Duftgemenges bestritten zu etwa gleichen Teilen ungewaschene Socken, Unterhosen und faule Zähne. In den besonders dunklen Ecken lungerten einsame, schweigende Gestalten, irgendwelche Spitzbuben, die man gegen Bezahlung für alles anheuern konnte, von einer Tracht Prügel, über tote Hähne an Stürze nageln, bis hin zum Mord.

Mein Blick kehrte zur Schankmaid zurück, die sich nur mit Müh und Not von einem Gast losreißen konnte. Gerade überlegte ich, ob ich einschreiten sollte, da versetzte sie dem Mann eine so saftige Ohrfeige, dass es ihn rücklings vom Hocker fegte. Die Kleine wusste sich zu helfen, soviel stand fest. Bei dem Rotschopf ganz in ihrer Nähe, einem jungen Mann, der eben noch unverschämt zu mir rübergegrinst hatte, war ich mir nicht so sicher. Vier für diese Spelunke recht gut gekleidete Männer umringten ihn gerade und nahmen ihn sehr eindringlich ins Gebet. Ich tippte auf Spielschulden. Rotschopf sah aus wie einer, der sich gerne übernahm.

Lustlos tauchte ich meinen Löffel in die Schüssel vor mir und schöpfte von der trüben Brühe.

Ich habe da von einem todsicheren Auftrag gehört, drüben in Hulther, hatte Tilvor gesagt und dabei mit seinem breiten Gesicht so bekräftigend vor meinem genickt, als wollte er Läuse aus seinem Haar schütteln. Danke, dass du mich für nichts und wieder nichts durch das ganze Land gehetzt hast, dachte ich. Den Auftrag hatte es wohl gegeben, Tilvor hatte sich allerdings in der Zeit geirrt. Konnte er überhaupt zählen? Drei Wochen war ich unterwegs gewesen. Meine Füße waren mittlerweile mit den Stiefeln verbacken. So wie ich mein Glück kannte, würde sich der Traum von einem warmen Bad in dem Moment verflüchtigen, in dem ich auf mein Zimmer ging und statt eines Zubers lediglich einen Eimer mit lauwarmem Wasser vorfand. So lief es doch immer. Und wenn ich ehrlich zu mir war: Ich passte hierher. Wie der Finger in die Nase, die Faust aufs Auge und der Fuß in den Arsch.

Ich nahm einen tiefen Zug aus meinem Krug, der für einen kurzen Moment meine Sicht einschränkte. Als ich ihn wieder absetzte, hatte ich Gesellschaft bekommen. Zwei Männer standen bei meinem Tisch und grienten auf mich herab. Dabei schwankten sie ganz sacht von links nach rechts und wieder zurück, wie Ähren in einer leichten Brise. Sie hatten mir also einige Krüge voraus. Das hatte sie mutig gemacht. Ich wusste, was jetzt kam, ich wusste es immer, warum wiederholte sich alles? Warum war mein Leben eine Abfolge von Straßendreck, löchrigen Sohlen, Aufträgen, die ich verpasste oder für die man mir den Sold schuldig blieb, versifften Spelunken und besoffenen Kerlen, die mir an die Wäsche wollten?

 

***

 

Die beiden Herren, die uns an dieser Stelle kurz mit ihrem Auftritt beehren, werden nicht lange ihre Freude an Åsa haben. Damit es meiner Protagonistin im Laufe der Geschichte aber garantiert nicht langweilig wird, habe ich ihr Reid zur Seite gestellt. Werfen wir einen kleinen Blick auf Kapitel zwei und meinen Co-Helden.

 

***

 

 

Karla! Oder doch Niéra? Oder ganz anders? Ich kam nicht auf den Namen der letzten. Jedenfalls hatte sie vier Brüder. Das erfuhr ich aber erst, als sie mich aufgestöbert hatten. Sie trugen maßgeschneiderte Reiseumhänge, waren alle vier groß, gut gebaut, standen voll gerechtem Zorn neben meinem Tisch und sahen auf mich herab. Wenn es sich um die Brüder derjenigen handelte, die ich meinte, hatten sie fünf Tagesreisen auf sich genommen, um mich zu finden. Das war schlecht.

»Reid Learham?«

War das eine Fangfrage? Sollte ich leugnen? Vielleicht erst einmal berichtigen. »Reid Learham, Count von Mittel-Althegon.« Ich setzte ein gewinnendes Lächeln auf und zog eine kleine, eng gerollte Urkunde aus einer Seitentasche meiner Weste. »Landadel«, fügte ich erklärend hinzu und überreichte dem größten der vier das wichtige Dokument. »Was kann ich für die Herren tun?«

Der Große entrollte die Urkunde und betrachtete sie kurz. Anschließend tat er etwas sehr Hässliches: Er packte sie an den einander gegenüberliegenden oberen Ecken, zerriss sie und ließ die beiden Hälften zu Boden flatterten. »Kann man für fünf Schilling kaufen, drüben in Nelcoe. Für zwölf Schilling bescheinigen sie dir sogar, dass du über zehn Ecken mit dem König verwandt bist.«

»Ich muss doch sehr bitten«, wandte ich ein, aber der Große beugte sich zu mir herab und brachte sein Gesicht dicht vor meines. »Wir wollen das Geld, das du unserer Schwester versehentlich entwendet hast«, erklärte er und ergänzte auf meinen fragenden Blick ein »Nasja«.

Nasja! Natürlich! Wie kam ich auf Karla? »Welches Geld?«, fragte ich unschuldig.

»Du mieses-« Einer der anderen drei machte einen Schritt vor, die Fäuste geballt, doch der Große hielt ihn zurück. »Die einhundert Dukaten, um die du sie gebracht hast. Ihre Mitgift.«

»Einhundert Dukaten.« Ich legte die Stirn in Falten. Das hier war übel, ich sollte gründlich nachdenken, bevor ich weitersprach. »Ach die. Das war eine Schenkung für meine kranke Mutter.«

»Hattest du Nasja nicht erzählt, du seist Vollwaise?«

Richtig. Ein Fetzen Wahrheit, geboren aus einem schwachen Moment, in dem das Blut in meinem Körper noch sehr ungleichmäßig verteilt war. Mir schwante, dass ich aus dieser Sache nicht mehr so einfach rauskam. Da konnte ich ja gleich die Karten auf den Tisch legen. »Ja, meine Mutter hätte medizinische Hilfe viel früher benötigt. Es war für die Beerdigung.«

Ich wurde am Kragen gepackt und ein Stück in die Luft gehoben. »Wo ist das Geld?«

»Ich habe es nicht mehr«, sagte ich schnell.

»Was? Wo ist es?«

»Er hat es. Dort hinten der Grobschlächtige mit den vielen Narben im Gesicht. Mit dem würde ich mich an eurer Stelle aber nicht anlegen. Jedenfalls sieht es so aus, als hätte ich im Spiel weit weniger Glück als in der Liebe. Ach ja, und er hat auch noch etwas abbekommen.« Ich wies auf den zahnlosen Wirt. »Aber den kleineren Teil.«

»Du Dreckschwein hast in zwei Wochen einhundert Dukaten durchgebracht?« Das war wieder der Gewalttätige, der eben schon die Fäuste gereckt hatte.

Ich wurde losgelassen und fiel auf meinen Stuhl zurück. »Ich weiß gar nicht, was ihr wollt«, maulte ich und richtete meine Kleidung. »Eure Schwester kann sich glücklich schätzen, ich habe ihr die Nacht ihres Lebens beschert. Geht heim und fragt sie.«

»Sie liegt in ihrem Bett und heult sich die Augen nach dir aus!«

»Tatsächlich?« Ich lächelte versonnen. »Ist es nicht wundervoll, welch tiefe Gefühle andere in uns auslösen können?«

»Dem brech ich alle Knochen …«, raunte der Gewalttätige.

»Nicht hier drinnen«, murmelte der Große. »Bringen wir ihn raus.«

Wieder wurde ich am Kragen gepackt. »Freunde, das muss doch nicht sein. Ich versichere euch, ich war jeden Dukaten wert.« Warum konnte ich nicht ein Mal das Maul halten? Es war zum Auswachsen, der Ernst der Lage schien noch immer nicht zu mir durchgesickert zu sein! Der Bruder, der mich am Wickel hatte, griff so fest zu, dass es mir die Luft abschnürte. Ich nahm mir vor, in Zukunft besser hinzuhören, wenn Frauen von ihren Familien erzählten und mich nur noch mit denen einzulassen, die ausschließlich Schwestern aufweisen konnten. Oder Brüder im Kindesalter. Nicht vier ausgewachsene, die mir sicher auch mit manikürten Händen sehr weh tun konnten, einfach weil es acht gegen zwei waren.

In diesem Augenblick geriet jedoch nicht nur Bewegung in mich, sondern in den gesamten Schankraum. Die vier Brüder hielten inne, ich tat es auch.

Die schwarzhaarige, bis an die Zähne bewaffnete Amazone mit den ausladenden Hüften, die bereits bei ihrer Ankunft für allgemeine Heiterkeit gesorgt hatte, weil sie sich als Sölderin für Lohferds Sache empfohlen hatte, stolzierte, alle Blicke auf sich ziehend, zwischen den Tischen hindurch Richtung Ausgang. Die beiden besoffenen Unruhestifter, die den Abend über mit steigendem Pegel die Schankmaid immer wüster belästigt hatten, glotzten ihr kurz hinterher und folgten dann. Nicht nur sie, überall wurden Stühle gerückt, standen Gäste auf, selbst der Wirt humpelte hinaus. Da stand doch nicht etwa eine Prügelei an? Endlich wieder was los in Hulther.

»Wollen wir uns das wirklich entgehen lassen?«, wandte ich mich ächzend an die Brüder. »So etwas haben wir hier nicht jeden Abend, da können wir unser kleines Missverständnis doch auch später bereinigen.«

Angewidert musterten sie mich, dann stieß der, an dessen Faust ich baumelte, mich vor sich her zum Ausgang hin. »Du hast unserer Schwester das Herz gebrochen«, grollte er, »du wirst es wieder heilen. Mach dir keine falschen Hoffnungen, du kommst nicht davon.«

Bei seinem Ton wurde mir nun doch bang. »Was habt ihr mit mir vor?«

Ich hörte das Grinsen in seiner Stimme. »Na was schon. Da du die Mitgift bereits hast, kommst du gefälligst mit und heiratest sie. Das ist für einen wie dich die schlimmste Strafe.« Er brachte seinen Mund dicht an mein Ohr. »Und wehe, sie ist nicht glücklich, jeden einzelnen Tag, den du noch lebst.«